Anneka Lohn im Gespräch mit Reto Ingold über die Freie Internationale Wanderschule für Biodynamische Agrar-Kultur
Wanderschule
Anneka Lohn Vor einigen Jahren waren wir, zusammen mit Rolf Kerler, in Tunesien auf der Dattelfarm von Karl Keller. Da habe ich dich mit deinem Anliegen für die Landwirtschaft kennengelernt. Später haben wir uns auf dem gleichen Kontinent, in Sekem, wieder gesehen. Jetzt geht es nicht um Afrika sondern um Osteuropa: Ihr habt eine ›Wanderschule‹ ins Leben gerufen. Was ist das genau?
Reto Ingold Die ›Wanderschule‹ ist ein Konsortium von Berater*innen für die biologisch-dynamische Landwirtschaft. Wir waren viele Jahre als Einzelmenschen unterwegs und kamen an Grenzen. Man denkt mit, begeistert, regt an, hört zu, aber nach einiger Zeit flaut das vor Ort ab. Es führte nicht zu dem erhofften Follow Up. Wir wollen anders arbeiten, Trainings offerieren und Kontakte ermöglichen, die auch lokale Kräfte einbinden und fördern können.
Wenn du sagst ›wir‹, wen beziehst du da mit ein?
Momentan sind das Georg Meissner, Hans Supenkämper, Ralf Kunert, Herbert Völkle, Eva Gehr, Stefan Illi, alles Menschen, die schon viele Jahre mit der Beratung und Ausbildung unterwegs sind. Wir wollen gerne einen fokussierten Ansatz ausprobieren. Wir haben bemerkt, das es viele qualifizierte Berater*innen gibt, aber wo sind sie, wie arbeiten sie zusammen, wie lernen sie voneinander? Plötzlich hat es bei und klick gemacht. Wir müssen schauen, dass wenn wir alte Hasen angefragt werden, Jüngere mitkommen können.
Wie sind die ersten Erfahrungen?
Es ist besonders in Osteuropa gelungen, lokale Kräfte zu begeistern, mitzumachen und mitzudenken. Sie sind vor Ort sehr motiviert. Wir haben gleich Institutionen gefunden, die mit unterstützen, es resoniert hervorragend. Gleichzeitig suchen wir für die Kosten Unterstützung, weil wir nicht wollen, dass die Finanzierung gänzlich in Osteuropa hängen bleibt, sondern, dass wir etwas initiieren und schenken damit die Menschen zusammenkommen können, das es losgehen kann.
Wie ist die Situation der biologisch-dynamischen Landwirtschaft in Osteuropa? Gewinnt sie an Boden?
Wenn man die Statistiken anschaut, sieht man, dass einige biodynamische Projekte auftauchen. Griechenland hat immerhin 40 Betriebe, Ungarn hat 12. Sie sind aber in der Struktur ganz unterschiedlich. Tausende von Hektar auf den 12 Betrieben in Ungarn und Kleinbetriebe in Griechenland – auf ganz kleiner Fläche. Die Landwirtschaft ist sehr unterschiedlich und es braucht angepasste Ansätze. Das konnte bisher niemand liefern, diese differenzierte Beratung.
Was heißt Beratung heute?
Meist wird daunter der Wissenstransfer oder die zur Verfügungsstellung von Managementkapazitäten verstanden. In der Wanderschule gehen wir von einem andern Beratungsverständnis aus. Wir arbeiten für ein ›Empowerment‹-Konzept: Aus irgendwelchen sozialen, sprachlichen, kulturellen, finanziellen oder geografischen Gründen gibt es in der biologisch-dynamischen Bewegung Interessierte, welche einen schwierigen Zugang haben. Wir versuchen mit Beratung Wege zu erschließen um diese Nachteile zu beseitigen. Unsere Erfahrung ist, dass sich die bio-dynamische Landwirtschaftsmethode unter verschiedensten Bedingungen eignet und anpassungsfähig genug ist, dass sie überall von Menschen auf der Suche nach einer nachhaltigeren und sozialeren Lösungen für die Zukunft der Landwirtschaft eingesetzt werden kann. Wir versuchen mit Beratung die fehlenden Elemente für einen erfolgreichen, selbständigen Einsatz der Methode beizusteuern. Schon während der Beratung entsteht ein interaktiven Prozess, welcher auch für die bestehende Bewegung ein Gewinn ist. Unsere Beratung ist deshalb auch eine Einladung zum Austausch auf Augenhöhe zugunsten der Entwicklung der biologisch-dynamischen Landwirtschaft. Wir versuchen diesen Austausch gezielt zu fördern und die Erkenntnisse verfügbar zu machen.
Was ist für die bio-dynamische Landwirtschaft in Zukunft wesentlich?
Wir sind immer noch eine sehr kleine Bewegung (ca 2% der Biobewegung weltweit), obwohl es uns gelungen ist, einen großen Anteil an den öffentlichen Diskussionen um die Zukunft der Landwirtschaft zu bestreiten. Wir müssen mutig darauf vertrauen, dass die bio-dynamische Methode sich durch das Tun verändert und essentiell bleibt. Ich glaube, dass ist, was Rudolf Steiner wollte, dass man die Impulse, die er geben konnte, anwendet und daraus Erkenntnisse für die nächsten Schritte gewinnt. Zumindest hat sich das bisher bewährt. Daraus ist zu verstehen, warum die Wanderschule die Beratung für die Entwicklung der praktischen Betriebe so wichtig findet. Die erfolgreichen Betriebe sind die Leuchttürme für die Reform der ganzen Landwirtschaft.
Es geht nur, wenn wir nicht schnell schnell irgendeine Einzelberatung hinschicken, sondern uns ein Netzwerk aufbauen, welches über aktuelle Informationen verfügt und die Menschen selbst immer wieder motiviert und Gelegenheit gibt, einzelne Fälle zu supervisieren.
Manchmal gelingt es, Brücken zu andern Gebieten zu schlagen. Gesundheit, Ernährung, Soziales liefern immer wieder wesentliche Bausteine für die Weiterentwicklung (z.B. kürzlich das neue Verständnis des gesunden Bodens und des Mikrobioms der Menschen). Wir können nicht alles in der Landwirtschaft leisten. Wir müssen deshalb für alle verständlich sein und uns mit andern guten Kräften zusammentun. Auf die Gefahr hin, dass wir dadurch nicht mehr die unangefochtenen Pioniere bleiben. Wenn man mit Berater*innen zusammenarbeitet, entsteht viel. Was man danach aus eigener Kraft entwickelt, kann sehr anders sein.
Wie würdest du dieses Verhältnis einschätzen – Beratung vs. Handhabungs- und Entwicklungsmöglichkeit?
Im Gegensatz zur Zertifizierung, die produktorientiert ist und darauf abzielt, sich am Markt zu behaupten, ist Beratung auch immer auf die Entwicklung der Projekte und Menschen bezogen. Das hat uns bei der Wanderschule wirklich interessiert. Bevor wir einzelne Projekte bearbeiteten, fragen wir uns immer: Was steht dahinter, wie können wir uns schulen, wie kann man überhaupt in die örtliche Sprache übersetzen? Es gibt in Osteuropa so viele verschiedene Sprachen und Kulturen. Wir wollen den jeweiligen Ort stärken, so dass es sich dort weiter entwickeln kann. Dieser Ansatz ist sehr fruchtbar. Für alle Unterstützer war klar, es braucht einen Ansatz in diese Richtung. Jetzt kann man erste Ergebnisse sehen. Ein kleines Highlight war die Klausur der kleineren Organisationen von Osteuropa, die die Stiftung Evidenz unterstützt hat. Wir haben sie angekündigt und gesagt, dass wir einen kleinen Reisebeitrag zahlen können. Nach drei Tagen waren alle an Bord. Alle haben gesagt, wir brauchen einen Ort, wo wir uns austauschen, wo wir uns spiegeln und helfen können. Auch die alten Organisationen wollten dabei sein, denn ausserhalb von Deutschland biologisch-dynamisch zu wirtschaften, ist nicht einfach.
Ich bin seit Jahren in Kontakt mit vielen kleinen Organisationen, Zeitschriften, Infoblätter usw. Alle haben Mühe sich zu finanzieren, alle arbeiten sozusagen ehrenamtlich. Der Übergang zur nächsten Generation ist nicht gesichert. Das ist eine spannende Frage, nicht nur in der Landwirtschaft! Da konnten wir durch die Wanderschule Türen öffnen. Früher hatten wir auch schon Kooperationen mit jungen Agronomen, die interessiert waren in diese Richtung zu gehen. Aber jetzt war es eine ganz andere Stimmung: Wie können wir neue Schritte gehen, wo könnte das in Zukunft hinführen? Ich habe auch gemerkt, dass wir eine bestimmte Rolle in der Wanderschule haben. Einerseits weil wir viel Erfahrung haben, also alte Berater*innen sind, aber andererseits weil unser Verhältnis zur Bewegung loyal, vermittelnd und offen ist, ohne die bekannten Gräben oder Geldsorgen mit Streitereien und Konkurrenz. Das hört sich nach eine fundierten Bewegung an, die hoffentlich oder möglicherweise den Shift in die Zukunft mit der jüngeren Generation für eine gesunde Landwirtschaft schafft! Ja, das ist uns wichtig. Wir haben das nicht ›erfunden‹, wir haben gespürt, dass wir ernst machen und den Modus wechseln sollten. Wenn sich in Ostungarn jemand für bio-dynamische Landwirtschaft interessiert, sollten Zugänge und Möglichkeiten auch beispielsweise in Ungarisch zugänglich sein. Das geht nur, wenn wir in Kontakt bleiben, ein Netzwerk bilden und nicht schnell schnell irgendeine Einzelberatung hinschicken, sondern uns ein Netzwerk aufbauen, welches über aktuelle Informationen verfügt und die Menschen selbst immer wieder motiviert und Gelegenheit gibt, einzelne Fälle zu supervisieren. Wenn jeder findet er sei der Beste und Bio-dynamisches sei das einzig Wahre, dann entstehen Kämpfe, die nichts bringen.
Anneka Lohn: Vielen Dank, Reto, für den Austausch über Euer Projekt!
Reto Ingold: Ich möchte mich bedanken, dass ihr ohne großen Aufwand mit eingestiegen seid und den Versuch gewagt habt, das hat uns sehr gefreut! Das Geld ist wirklich gut eingesetzt!